Wir ließen Nichts unversucht

Es gibt so Tage, da läuft einfach nicht viel zusammen.

Nach unserem kurzen Aufenthalt in der wunderschönen Wüstenstadt Yazd war es langsam an der Zeit den Iran zu verlassen und nach Pakistan aufzubrechen. Vorher war aber noch ein letztes Projekt in dem Land geplant, in dem wir bisher die meiste Zeit unserer Reise verbracht hatten und das uns auf so viele Weisen verzaubert hat. Wir konnten nicht ahnen, dass ein blindes Mädchen, dass wir während der Umsetzung unserer eigentlich letzten Spende auf iranischem Boden kennen lernten, für einen der nervenaufreibendsten Tage unserer Reise sorgen würde.

Über unseren Gastgeber und Partner vor Ort in der Süd-Ost Iranischen Stadt Dschiroft sind wir auf ein junges Mädchen aufmerksam geworden, das über 90% ihrer Sehkraft verloren hat, welche sie aber laut Familie durch einen relativ einfachen Eingriff, wiedererlangen könnte.

Gefesselt von der Aussicht einem Mädchen das Augenlicht zurückgeben zu können, versuchten wir alle nur denkbaren Hebel in Bewegung zu setzen, um dies möglich zu machen. Hamid, unser treuer und zuverlässiger Ansprechpartner für jegliches Anliegen, hat uns an seinen guten Freund Niavarani vermittelt, der als Augenarzt in Teheran praktiziert und die nötige Expertise mitbrachte, um uns bei diesem Thema zu Rate stehen zu können. Die erste Anweisung lautete den Arztbericht der letzten augenärztlichen Untersuchung im 1³/4 h entfernten Bam abzuholen und an ihn weiterzuleiten, damit er sich ein Bild vom tatsächlichen Gesundheitszustand der Augen des Mädchens machen kann. Da diese Untersuchung leider schon mehrere Jahre zurück lag und die Digitalisierung am Iran bisher gänzlichst vorbei gegangen war, standen wir drei Stunden später nach ewigem Suchen der Krankenhausmitarbeiter mit leeren Händen und mieser Laune vor der Klinik. Wir brauchten also einen neuen Plan.

Der mit uns mitgefahrene Bruder führte verzweifelt Telefonate mit der Familie, um doch noch herauszufinden, wo die Unterlagen sein könnten, während wir Niavarani auf den neuesten Stand brachten und mit ihm ebenfalls an einer Lösung des Problems arbeiteten.

Schnell kristallisierte sich heraus, dass die einzige Möglichkeit für eine erfolgreiche Behandlung des Mädchens der Besuch eines Augenarztes in der Provinzhauptstadt Kerman sein würde, um dort eine neue fachmännische Untersuchung erhalten zu können, auf die aufbauend wir einen möglichen Eingriff planen könnten. Mit frischem Optimismus ausgestattet galt es jetzt dem Bruder den neuen Plan zu vermitteln, was leichter klingt als es war, da keiner der Sprache des anderen mächtig war und unsere Simkarten fürs Handy aus uns nicht bekannten Gründen kaum funktionierten, was eine Kommunikation über Google-Translate unmöglich machte. Dieser fehlende Internetzugang sollte uns im Laufe des Tages eine Menge Nerven kosten…

Nach langem abwägen der Optionen vereinbarten wir mit der Familie des Mädchens, dass wir uns an der Gabelung treffen, an der sich die jeweiligen Routen von Bam und Dschiroft nach Kerman kreuzen, um uns dann gemeinsam auf die Suche nach einem Arzt begeben zu können. Die Suche nach einem geeigneten Doktor gestaltete sich mit nur bedingtem Internetzugang natürlich als extrem schwierig, was durch die 200 km weite Anfahrt auch nicht vereinfacht wurde. Es kostete uns vier Stunden, bis wir nach ewigem Warten auf das Auto mit der Familie, das das blinde Mädchen dabei hatte, gegen Abend endlich am gewünschten Zielort ankamen. Der für eine iranische Großstadt typisch chaotische Berufsverkehr und der baldige Feierabend der Arztpraxis gemeinsam mit der minütlich steigenden Anspannung, ob wir dem Mädchen schlussendlich helfen können, setzte unserem Nervenkostüm nach dem jetzt schon sehr langen Tag weiter zu.

In der dritten Reihe mitten auf der Hauptstraße parkend, direkt vor der Tür des Hochhauses, welches die Praxis beinhaltete, galt es jetzt die Daumen zu drücken, dass uns der Doktor noch vor seinem Dienstschluss drannahm. Luca hatte sich für ein Nickerchen nach hinten in den Bus gelegt, da es ihm schon den ganzen Tag nicht so gut ging, während ich mich mit der Mutter und dem Bruder des Kindes voller Hoffnung in den dritten Stock zum Augenarzt aufmachte.

Die sehr freundliche Dame am Empfang stellte umgehend klar, dass wir auf jeden Fall noch drankommen würden, es aber vielleicht noch dreißig Minuten dauern könnte, was eine erste gute Nachricht war. Die Nervosität aller Beteiligten war zum Greifen, weswegen während des Wartens fast keiner gesprochen hat. Als wir endlich an der Reihe waren, ging alles relativ schnell. Im erstaunlich gut ausgestatteten Arztzimmer wurden ein paar Tests gemacht, um herauszufinden, welches konkrete Leiden das Mädchen besitzt. Die anschließende Diagnose war jedoch mehr als niederschmetternd. Leider ließ sich an der bedauernswerten Situation des Mädchens nichts ändern. Die Hoffnung dem Mädchen das Augenlicht zurück geben zu können, die uns den ganzen Tag mit positiver Energie durchströmt hat, wich von einem Moment auf den anderen einer großen Enttäuschung. Man kann sich glaub ich nicht im Ansatz vorstellen, wie sich das Mädchen nach diesem Tag fühlen musste, wenn wir durch das auf und ab der Gefühle schon so betroffen waren. Wir machten uns während der folgenden Wochen immer wieder Gedanken, ob es nicht doch noch einen Weg geben würde, dem Mädchen und der Familie helfen zu können, aber wir blieben ideenlos.

Als Dank für unsere Mühen, wurden wir zum Ausklang des Tages vor Ort noch zu einem üppigen Abendessen bei Verwandten der Familie eingeladen, was die schlechte Stimmung aber kaum aufhellen konnte.

Leider gibt es nicht immer ein Happy-End..

Der Arztbesuch kostete uns 4,27 Euro